Download PDF + Modelldateien

 

Ballastkiele

Strategien und Methoden

von Reinhard Siegel

 

Einleitung

Segelyachten benötigen Querstabilität, um die Segelkräfte auszugleichen. Einrumpfboote verlassen sich auf Kielballast. Je tiefer dessen Gewichtsschwerpunkt, umso besser. Bei klassischen Rümpfen ist der Ballast Teil des Unterwasserschiffes. Fahrtenyachten haben einen separaten Ballastkiel; bei manchen nimmt die Dicke in Richtung der Kielunterkante deutlich zu. Performance Cruiser und Rennyachten verfügen über eine Kielflosse mit angehängtem Ballastbulb.

Dieser Artikel zeigt, wie man Ballastbulbs und -kiele in MultiSurf modellieren kann. Dabei geht es nicht darum, einen Bulb mit bestimmten Abmessungen oder Form zu machen, sondern zu zeigen, welche Methode für den jeweiligen Zweck praktisch ist.

 

Verwendete Abkürzungen:

Cp: Kontrollpunkt, Stützpunkt (control point, support point)
Mc: Masterkurve, Stützkurve (master curve, support curve)

cp1, cp2, ...: bezeichnet den 1., 2. ... Punkt in der Liste der Kontrollpunkte einer Kurve. Es ist kein Objektname.
mc1, mc2, ...: bezeichnet die 1., 2. ... Kurve in der Liste der Stützkurven einer Fläche. Es ist kein Objektname.

Im Folgenden werden die MultiSurf-Namen für Punkt-, Kurven- und Flächenarten verwendet. Das ergibt zwar „denglische“ Sätze, soll aber dem Verständnis und der Nachvollziehbarkeit dienen.

 

Revolution Surface

Am einfachsten läßt sich ein Bulb durch eine Revolution Surface erzeugen. Dies demonstriert das Modell bulb_revolution_surface.ms2, das eine Kielflosse mit Bulb in L-Konfiguration zeigt.

Eine Revolution Surface erfordert 2 Parents: eine Linie für die Rotationsachse und die Kurve, die um diese Achse gedreht wird. Im Beispiel ist diese Meridiankurve eine Foil Curve. MultiSurf stellt 5 Standard-NACA-Profilkurven bereit. Darüber hinaus kann man mit dem Programm FOILFIT erzeugte benutzerdefinierte Profile verwenden.

Der Drehwinkel beträgt 0 - 180 Grad (Modellsymmetrie: Y = 0-Ebene). Somit sind die Spanten des Bulbs Kreise. Volumenschwerpunkt und Gewichtsschwerpunkt des Ballastbulbs liegen auf der Rotationsachse.

 

Modell bulb_revolution_surface.ms2

 

Einen sanften Übergang zwischen Kielflosse und Ballastbulb läßt sich auf einfache Weise mit einer Blend Surface gestalten.

Modell bulb_revolution_surface.ms2 - für den allmählichen Übergang von Kielflosse zu Ballastbulb eignet sich eine Blend Surface.

 

Procedural Surface

Die einzige Freiform-Möglichkeit bei einer Revolution Surface besteht in der Formgebung der Meridiankurve. Die Spantquerschnitte sind immer Vollkreise. Etwas größere Freiheit bei der Gestaltung eines Ballastbulbs bietet eine Procedural Surface. Das Modell bulb_procedural_surface.ms2 zeigt ein Beispiel.

 

Modell bulb_procedural_surface.ms2 - Bulb als Procedural Surface; die erzeugende Kurve ist eine Ellipse.

Den Umriß in der Seitenansicht bestimmt die Foil Curve c0, die Breite in der Aufsicht die B-spline Curve c1. Die erzeugende Kurve c2 ist von der Kurvenart Conic Section, Typ "Ellipse". Mittelpunkt der Ellipsenkurve ist der Bead e0, die Beads e1 und e2 bestimmen das Ende von Primär- und Sekundärachse. Der Winkelbereich beträgt 0 - 180 Grad.

Der Antriebs-„Motor“ der Procedural Surface-Konstruktion ist Bead e0 auf der Line l0 (Längsachse). Am Ort von e0 werden die Kurven c0 und c1 in den XYZBeads e1 und e2 geschnitten, so dass die Parents für die Ellipse c2 definiert sind. Die Fläche wird dann durch Bewegen des Beads e0 und der Kurve c2 entlang der Achse l0 erzeugt.

Die Spantschnitte dieses Ballastbulbs sind elliptisch. Wenn in der Nähe der Bulbnase die Breite der Kurve c1 und die Höhe der Kurve c0 sich ähneln, werden die Querschnitte rund. Der Volumenschwerpunkt liegt auf der Längsachse.

Hinweis: um eine in Längsrichtung exakt runde Bulbspitze zu erzeugen, muß die Line l0 relabelt werden. Ihre Kurvengeschwindigkeit muss zu Beginn Null sein. Das verwendete Relabel beginnt mit zwei Nullwerten: {0, 0, 1}, erzeugt also es eine Geschwindigkeit gleich Null am Beginn der Line (t = 0). Die Geschwindigkeit einer Kurve ist die Änderung der Bogenlänge entlang der Kurve in Bezug auf die Änderung des t-Parameters.
Anstatt die Line zu relabeln, könnte man sie alternativ auch durch eine B-spline Curve mit einem Doppelpunkt am Beginn (t = 0) ersetzen.

Eine Variante zur vorgestellten Bulbkonstruktion ist im Modell bulb_procedural_surface_2.ms2 gezeigt. Hier wird die Bodenkontur des Ballastbulbs durch eine zweite Foil Curve definiert. Am Ort von Bead e0 wird diese Foil Curve c3 in dem XYZBead e3 geschnitten, der zusammen mit den Beads e0 und e2 verwendet wird, um eine Ellipse (Conic Section c4) für die Unterseite des Bulbs zu erzeugen.

 

Modell bulb_procedural_surface_2.ms2 - die erzeugende Kurve ist eine PolyCurve, die jeweils eine elliptische Kurve für die Ober- und die Unterseite des Bulbs verbindet.

Beide Conic Sections c2 und c4 werden durch eine PolyCurve miteinander verbunden. Diese ist nun die erzeugende Kurve der Procedural Surface. Der Winkelbereich für beide Ellipsen beträgt 0 - 90 Grad.

 

B-spline Lofted Surface

Während man in den bisherigen Beispielen die Form des Ballastbulbs in der Seitenansicht und der Aufsicht frei nach seinen Vorstellungen gestalten kann, sind die Spantschnitte analytische Kurven – ein Kreis bei der Revolution Surface, eine Ellipse oder eine Kombination von zwei Ellipsen bei der Procedural Surface.

Volle Freiheit beim Entwurf der Bulbform bietet die B-spline Lofted Surface. Ein Beispiel zeigt das Modell bulb_b-spline_lofted_surface.ms2. Das Modell hat 5 Mcs. Während mc1 an der Spitze nur ein einziger Punkt ist, sind mc2 bis mc5 B-spline Curves vom Grad 3, alle mit 6 Cps. Der Grad der B-spline Lofted Surface ist ebenfalls auf 3 gesetzt.

 

Modell bulb_b-spline_lofted_surface.ms2 - B-spline Lofted Surface; Anordnung der Masterkurven

Die Mcs verlaufen in Querschiffsrichtung; Über die entsprechende Angabe der Eigenschaft „Dragging“ wird sichergestellt, daß die Cps beim Verschieben in ihrer Spantebene bleiben (gleiche X-Koordinate der Cps). Das ist zwar nicht wirklich notwendig, aber dadurch ist der Kurvenverlauf der Mcs eng mit der Form der Spanten verknüpft, so daß man rascher zum gewünschten Ergebnis kommt.

Umriß und Querschnitte hängen ausschließlich von der Form der Mcs ab. Wenn die vorderen Spanten rund sein sollen, kann man die B-spline Curve mc2 durch einen Arc ersetzen.

 

B-spline Surface

Da das vorstehend betrachtete Modell eine B-spline Lofted Surface mit B-spline-Masterkurven vom gleichen Grad und gleicher Anzahl der Cps ist, kann die identische Geometrie auch durch eine B-spline Surface nur mit den Kontrollpunkten erzeugt werden (Modell bulb_b-spline_surface.ms2).

 

Modell bulb_b-spline_surface.ms2 - Ballastbulb als B-spline Surface

Es ist zu beachten, dass der mc1–Punkt 6mal gewählt werden muss, da die Anzahl der Cps in u-Richtung (transversal) gleich 6 ist. Bei dieser Konstruktion werden vier Kurven (mc2 bis mc5) eingespart, aber es fehlt die visuelle Hilfe der Mcs, wie man sie man bei der Version mit einer B-spline Lofted Surface hat.

 

Foil Lofted Surface

Bisher haben wir den Ballastbulb als separates Element des Kielanhangs betrachtet, das heißt: Kiel = Flosse + Bulb. Wenn jedoch eine traditionellere Kielform vorgesehen ist, dann läßt sich der Gewichtsschwerpunkt auch durch eine zur Kielsohle hin zunehmende Dicke nach untern verlagern, um zum Beispiel Tiefgang zu sparen, ohne Stabilität einzubüßen. Das Modell keel_foil_lofted_surface.ms2 zeigt ein Beispiel.

 

Modell keel_foil_lofted_surface.ms2 - Foil Lofted Surface, definiert durch Masterkurven für Hinterkante, Dicke und Vorderkante

Die Konstruktion ist einfach. Drei Masterkurven kontrollieren die Foil Lofted Surface - Hinterkante, Dicke und Vorderkante. Wegen ihrer leichten Formbarkeit ("gekochte Spagetti") werden hierfür B-spline Curves vom gleichen Grad und gleicher Anzahl der Cps verwendet. Was bedeutet, dass die komplexeste Kurve die Anzahl der Cps von allen Mcs bestimmt. Im vorliegenden Beispiel könnte die nur wenig gebogene Hinterkante nur mit 3 Punkten definiert werden. Da aber der angestrebte Verlauf die Dickenkurve 5 Cps erfordert, muss auch die Hinterkante durch 5 Cps erzeugt werden.

Es ist zu beachten, dass korrespondierende Cps gleiche Z-Koordinaten haben müssen. Andernfalls würde die t-Parameter-Verteilung der Mcs unterschiedlich sein, was zu verzerrten u-Parameterkurven der Foil Lofted Surface führt. Dies wiederum wirkt sich negativ auf den Strak der Fläche aus (siehe auch den Artikel "Modellierung eines Ruders in MultiSurf").

 

Auswirkung ungleicher t-Parameter-Verteilung bei B-spline-Masterkurven. Bei dem Kiel rechts ist die Hinterkante durch 3 Punkte definiert, während die Kurve für die Profildicke und die Vorderkante mit 5 Punkten gestützt wird.

 

Sind diese Bedingungen zu restriktiv, bietet die Konstruktion durch eine Procedural Surface volle Flexibilität (Modell keel_procedural_surface.ms2). Der Kurventyp für die Masterkurven für Dicke, Hinterkante sowie Vorderkante kann dann frei gewählt werden. Zum Beispiel eine Line oder C-spline Curve für die Hinterkante und B-spline Curves für die Vorderkante und den Dickenverlauf, beide mit unterschiedlichem Grad und verschiedener Anzahl von Cps.

 

Modell keel_procedural_surface.ms2 - mit einer Procedural Surface läßt sich ein verzerrtes Parameterkurvennetz vermeiden. Die Hinterkante ist eine C-spline Curve mit 3 Cps, Vorderkante und Dickenverlauf sind B-spline Curves mit 5 Cps. Die erzeugende Kurve ist eine Foil Curve.

 

Volumen und Schwerpunkt

Es gibt drei Möglichkeiten, während der Entwurfsarbeit das Volumen und dessen Schwerpunkt anzuzeigen.

 

1. Tools/ Hydrostatics

–  Definition eines Contours-Objekts mit Spanten in engem Abstand
–  Ansicht View/ Display/ Offsets. Da die Spanten in der Mittschiffsebene beginnen und enden müssen, ist gegebenenfalls „Add Deck“ und/oder „Add Bottom“ zu aktivieren.
–  Anzeige der Hydrostatikwerte über Tools/ Hydrostatics

Das nachfolgende Bild zeigt hierfür eine zweckmäßige Anordnung der verschiedenen Programmfenster (Modell keel_hydrostatics.ms2). Das Offsets View-Fenster kann auch minimiert werden, um noch mehr Platz zu schaffen.

Nachteilig nach Meinung des Autors ist, dass die Spanten, die der Hydrostatikrechnung zugrunde liegen, im Wireframe View oder Shaded View angezeigt werden müssen. Das lenkt den Blick von den Objekten ab, die die Form kontrollieren. Sind keine Spanten sichtbar, sind die Fenster Offsets View und Hydrostatics leer.

 

Modell keel_hydrostatics.ms2 – mit dieser Fenster-Anordnung läßt sich gleichzeitig Entwerfen und das Volumen überprüfen.

 

2. Hydrostatic Reals

Hydrostatic Reals bieten einen zweiten Weg, um Volumen- und Schwerpunktdaten während des Entwurfs anzuzeigen. Hydrostatic Reals sind eine Gruppe von Formelfunktionen; sie ähneln Funktionen wie Angle oder Area.

Modell keel_hydro_reals.ms2 zeigt ihre Anwendung. Da es bei Hydrostatic Reals kein „Add Deck“ und „Add Bottom“ gibt, die Spanten aber in der Mittschiffsebene beginnen und enden müssen, ist die Oberseite des Kiels durch eine Ruled Surface geschlossen.

 

Modell keel_hydro_reals.ms2 - Anzeige von Volumen und Schwerpunkt beim Modellieren. Die für die Berechnung zugrunde liegenden Spanten müssen auf der Mittschiffsebene beginnen und enden (Fenster links oben).

Das Ergebnis kann über Tools/ Real Values oder mit Hilfe von Text Labels angezeigt werden. Die Spanten für die Berechnung können ausgeblendet werden.

 

3. Solid

Über die Programmfunktion Tools/ Mass Properties können die Koordinaten von Punkten, die Länge von Kurven und die Größe von Flächen angezeigt werden. Unter weiterem auch Volumen und Schwerpunkt von Solid-Objekten. Modell keel_solid.ms2 erklärt die Verwendung dieser dritten Methode.

Um das Solid zu erzeugen, wird die Kielfläche zunächst an der Mittschiffsebene (Y = 0-Ebene) gespiegelt (Mirrored Surface) und dann ein Ruled Solid zwischen der Kielfläche und diesem Spiegelbild aufgespannt. Wird das Solid auf dem Bildschirm angezeigt, werden sein Volumen und die Schwerpunktkoordinaten im Mass Properties-Fenster mitaufgelistet.

Eine direkte Anzeige der Volumengröße und der Lage des Schwerpunkts ist mittels Formula-Objekten möglich. Das Solid kann dann ausgeblendet werden.

 

Modell keel_solid.ms2 - Anzeige von Volumen und Schwerpunkt des Kiel-Solids

Wird die Form der Kielfläche geändert, werden automatisch Spiegelbild, Solid und Anzeige von Volumen und Schwerpunkt aktualisiert.

Weitere Daten wie benetzte Oberfäche, Lateralfläche und Flächenschwerpunkt lassen sich ebenfalls mit Hilfe der von den Formula-Objekte bereitgestellten Funktionen anzeigen.

====================================================================================